Schweizer Parlamentarismus

Veranstalter
Zeitschrift traverse 3/2018
Veranstaltungsort
Ort
Bern
Land
Switzerland
Vom - Bis
31.08.2016 -
Deadline
31.08.2016
Von
Behr, Andreas

Schweizer Parlamentarismus

1998 konstatierte Georg Kreis eine «bedenkliche Rückständigkeit der schweizerischen Parlamentsforschung» und verwies auf die klaffenden Lücken in der Darstellung der historischen Entwicklung des Schweizer Parlaments. Fünfzehn Jahre später titelt ein Artikel in der Zeitschrift traverse « L’autorité suprême de la Confédération délaissée par les historiens » und kommt damit zum selben Befund. – Die höchste Gewalt der Schweiz, das Herzstück der viel gelobten Demokratie, als weisser Fleck der Historiker? Blicke in die einschlägigen Datenbanken der Universitätsbibliotheken bestätigen, dass diese Einwände bis heute nicht an Aktualität eingebüsst haben. Historische Forschungen zum Schweizer Parlament bleiben ein Desiderat. Mehr noch: Der Befund gilt in derselben Deutlichkeit für die Erforschung der kantonalen und kommunalen Parlamente.

Dabei kann die internationale Forschung über die historische Entwicklung des Parlamentarismus auf eine lange Tradition zurückblicken. Spätestens seit der Nachkriegszeit wird der Parlamentarismus nicht nur primär aus einer institutionengeschichtlichen Perspektive erforscht; die Forschung hat vielmehr eine Vielzahl an Zugängen entwickelt. Allein die über 400 Publikationen im Rahmen der Deutschen Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien reichen von sozialgeschichtlichen Untersuchungen über prosopografische Forschungen bis hin zu transnationalen, historisch-vergleichenden kulturgeschichtlichen Untersuchungen über die Parlamente und ihr Funktionieren. So gehören etwa die Entwicklung der Redekultur, die Wandlungen der Zusammensetzung von Parlamenten oder die diachrone Untersuchung der Funktionen von Parlamenten im Gesetzgebungsprozess einer Demokratie zu den etablierten Zweigen der historischen Parlamentarismusforschung.

Zahlreiche staatsrechtliche und politologische Analysen haben in den letzten Jahren und Jahrzehnten insbesondere das Schweizer Parlament als Institution in den Fokus gerückt – die historische Perspektive auf die Entstehung und den (institutionellen) Wandel dieser Parlamente hingegen ist bisher kaum eingenommen worden. Wie die kommunalen und die kantonalen und nicht zuletzt das Schweizer Parlament zu dem geworden sind, was sie heute sind, hat sich bisher wissenschaftlichen Untersuchungen entzogen. Dabei bieten sich die Parlamente als exzellentes Forschungsgebiet geradezu an. Die verschiedenen staatsrechtlichen und politologischen Studien bilden ein Fundament, auf welches historische Fragestellungen bauen können, wobei die Quellen für deren Bearbeitung – unter anderem dank einer umfangreichen Dokumentationspflicht der nationalen und kantonalen Parlamentsdienste – einfach und zu einem grossen Teil öffentlich zugänglich sind. Institutionelle Entwicklungen im Bereich der Kompetenzen des Parlaments im Gesetzgebungsprozess, sozialgeschichtliche Entwicklungen zum Profil der Parlamentarier oder ideen- respektive politikgeschichtliche Entwicklungen im Bereich der Mehrheitsbildungen und der Minderheitenrechte sind nur einige Beispiele für Forschungsfelder, die einer systematischen Aufarbeitung bedürften.
Die Zeitschrift traverse gibt einen Anstoss zur Schliessung dieser Lücken. Im geplanten Themenheft soll einer Auswahl der unten aufgeführten oder ähnlichen Fragen zum Schweizer Parlamentarismus nachgegangen werden:

- Wie haben sich die Prozesse der Mehrheitsbildung seit 1848 entwickelt (Stichwort: wechselnde Mehrheiten)? Welche Bedeutung kommt den Minderheitenrechten zu?
- Wie hat sich das Verhältnis zwischen Regierung und Parlament institutionell verändert? Inwiefern unterliegt die Rolle des Parlaments als Gesetzgeber einem steten Wandel, inwiefern die Rolle der Verwaltungen?
- In welchen Phasen des 19. und 20. Jahrhunderts artikulierte sich der Antiparlamentarismus und warum?
- Wie hat sich der Einfluss von gesellschaftlichen (insbesondere wirtschaftlichen) Interessengruppen auf den parlamentarischen Entscheidungsprozess entwickelt?
- Wie hat sich die Repräsentationsfunktion von Parlamenten entwickelt? Wer hat im Lauf der Zeit wen im Parlament vertreten? (Entwicklung des formellen aktiven und passiven Wahlrechts? Faktische Wahrnehmung des Wahlrechts durch verschiedene gesellschaftliche Gruppen?)
- Inwiefern unterliegt das Profil der Parlamentarier dem Wandel der gesellschaftlichen Bedürfnisse und Herausforderungen – vom «Honoratiorenparlament» zum faktischen «Berufsparlament»?
- Wie hat sich das Verhältnis zwischen dem Parlament und den Volksrechten entwickelt? Wie kamen das nationale und die kantonalen Parlamente überhaupt dazu, ihre eigenen Rechte zu beschneiden und dem Volk zu übertragen?
- Welche Bedeutung kommt dem Parlament als Kommunikationsraum zu? Kann eine Entwicklung der Redekultur (als Teil einer Parlamentskultur) beobachtet werden?

Bezüge zum 19. Jahrhundert sind ebenso erwünscht wie Untersuchungen, die sich schwerpunktmässig oder komparativ kantonalen oder kommunalen Parlamenten widmen. Geplant ist die Präsentation der Beiträge im Spätsommer 2017 an einem Workshop (voraussichtlich Anfang September 2017 in Lausanne oder Bern) bevor sie als Heft 3/2018 der traverse erscheinen werden. Die Artikel haben einen maximalen Umfang von circa 30’000 Zeichen und sollen in einer ersten Version bis zum 31.12.2017 an die Redaktion gelangen.

Bitte senden Sie ein Abstract mit maximal 2’500 Zeichen und einem kurzen Curriculum Vitae bis zum 31.08.2016 an: andreas.behr@revue-traverse.ch; martin.graf@parl.admin.ch; ruth.luethi@parl.admin.ch; andrea.pilotti@unil.ch

Programm

Kontakt

Andreas Behr

Schweizer Parlamentsdienste
Parlamentsgebäude, 3003 Bern

andreas.behr@revue-traverse.ch

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